Von Dr. Eyad Sarraj,
Gründer und
Präsident des Gemeinde Gesundheitsprogramm von Gaza;
Chef der internationalen Kampagne, die Belagerung zu beenden.
Der traurige Berater von Gaza: Dr. Ejad Sarraj
berichtet
in
The Link Volume 41, issue 3, Juli/August 2008
Heute
war ein ganz gewöhnlicher Tag in Gaza. Acht Leute wurden während eines
israelischen Angriffs getötet. Die Grenzübergänge waren geschlossen.
Wenige Autos fahren auf den Straßen. Viele Menschen laufen herum.
M.
Krayyim kam ins Büro der „Kampagne :Schluss mit der Belagerung“ ; er bat
um Hilfe. Sein 16jähriger Sohn war die letzten beiden Wochen in einem
Krankenhaus in Tel Aviv gewesen und hatte eine Behandlung gegen akute
Leukämie erhalten. Die Ärzte wollten ihm eine Knochentransplantation
geben – aber 40 000$ müssen dafür gezahlt werden. Das bedeutet so viel
wie Leben oder Tod. Da es dem Vater nicht erlaubt war, die Grenze zu
passieren, um seinen Sohn zu sehen, weil er nach israelischen
Forderungen drei Jahre zu jung war – intervenierten wir mit Erfolg beim
Gesundheitsministerium in Ramallah.
Riham
ein Mitarbeiter der „Kampagne. Schluss mit der Belagerung“ berichtete
mir von den steigenden Preisen für Brot und Brennstoffen. Wegen der
israelischen Belagerung gab es an den Tankstellen kein Benzin mehr und
auf dem Schwarzen Markt war er sechs mal teurer (150$ eine Gallone).
Die Preise für die Grundnahrungsmittel haben sich vervielfältigt. Seit
der nun zweijährigen Belagerung kommen nur noch 20 Grundnahrungsmittel
durch – anstelle von 9000. Die Harvard Universitätsprofessorin Sara Roy
und ich wiesen in einem Artikel für Boston Globe Anfang dieses
Jahres nach, die israelische Regierung habe die täglich erforderlichen
Mengen von Mehl so drastisch gekürzt, dass die Preise himmelhoch
gestiegen seien.
Am
Abend holt mich mein Freund Hassan ab und macht den Vorschlag, einen
Beileidsbesuch bei unserm gemeinsamen Freund zu machen, dessen Vater
gestorben war. Auf der Straße macht er Witze über den Geruch von
gebratenen Falafeln, der aus den Autos kam, die jetzt Bratöl anstelle
von Diesel nehmen. Sein Wagen fährt mit Kochgas, was mich alarmierte.
Wir beide waren darüber verwundert, wie unverwüstlich die Leute sein
können. Ich sagte, es sei schon seltsam, wie Israel uns zwingt, durchs
Laufen fit und schlank zu bleiben. Doch Hassam unterbrach mich und
sagte, die langen Wegstrecken erfordern viel mehr Energie und mehr
Nahrung, die sich die meisten gar nicht mehr leisten können.
Als
ich nach Hause kam, begrüßte mich mein zweijähriger Sohn mit einer auf
mich gerichteten Spielzeugwaffe und schreit: Ich erschieße dich! Und
murmelte noch etwas wie: Hamas und Fatah töteten Männer.
Willkommen in Gaza.
Das
Gaza, das ich liebe, war schön. Erinnerungen an den Gazastreifen
erfüllen mein Herz und mein Gemüt: der Duft von Orangenblüten im
Frühling oder die weißen Asphodeluslilien am Strand, das klare
Meerwasser und die krabbelnden Krebse …
Ich
komme aus einer Familie mit 10 Geschwistern. Wir wuchsen in einem
kleinen Haus in Gaza-Remal auf. Am Rand unserer Straße begann ein Wald,
der sich bis zum Strand erstreckte. Während des Ramadan besuchten wir
Familienmitglieder und erfreuten uns am herzlichen Empfang. Mein Vater
bestand darauf, dass wir täglich zehn Besuche machten.
Dieses
Gaza gibt es nicht mehr. Wirren, Politik und Kriege, Geld und Entbehrung
haben das Leben von heute verändert.
1948
wurde der Gazastreifen der Zufluchtsort für hundert Tausende von
Flüchtlingen, die von Israel aus dem südlichen Palästina vertreiben
wurden.
1956
besetzte Israel während des Suezkrieges den Gazastreifen. Viele
Menschen wurden getötet, besonders in Khan Yunis.
1963
ging ich nach Alexandria in Ägypten, um dort Medizin zu
studieren,;danach machte ich ein Praktikum als Psychiater in London.
1967
besetzte Israel den Gazastreifen zum 2. Mal, eine Besatzung die jetzt
auf Dauer erscheint. Ein legitimer, nationaler, bewaffneter Widerstand
tauchte auf, an dem sich eine Menge Freiheitskämpfer beteiligten. Ich
erinnere mich, dass ich, während ich 1970 in der Notaufnahme des
größten Krankenhauses im Gazastreifen im Shifa-Krankenhauses
arbeitete, jeden Tage mehrere ermordete Freiheitskämpfer gebracht
wurden. Israels Militär reagierte auf denWiderstand und verhaftete zehn
Tausende Palästinenser, von denen viele systematisch gefoltert wurden,
was von israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen
dokumentiert wurde.
Als
Psychiater konnte ich die Auswirkungen solcher Folter auch auf die
Familien und die Gemeinschaft erkennen. Das allgemeine Problem ist die
Gewalt gegen Frauen und Kinder. Das Opfer empfindet einen nagenden
Wunsch nach Rache und übernimmt unbewusst die Taktiken seines
Folterers.
Ich
sah dieses Syndrom „geschlagener Kinder“ einige Jahre später aus erster
Hand, als ich während der Herrschaft der palästinensischen Behörde ins
Gefängnis kam, weil ich Arafat und den Menschenrechtsbericht der PA.
kritisiert hatte. Das Gefängnis, in das ich gesteckt wurde, war vorher
ein israelisches Gefängnis, in dem meine palästinensischen Vernehmenden
selbst schon gefangen saßen. Eines Tages hörte ich von meiner Zelle ,
wie ein anderer Palästinenser verhört wurde. Als der Gefangene die
Fragen nicht beantwortete, wurde der palästinensische Verhörende noch
wütender, bis er plötzlich auf Hebräisch loswetterte, was natürlich die
Sprache seines Folterers war.
1987
brach im Gazastreifen die 1. Intifada aus. Sie wütete 6 Jahre. Tausende
wurde getötet, verstümmelt und noch mehr wurden verhaftet und
gefoltert. Zu Beginn der Intifada gründete ich mit begrenzten
persönlichen Mitteln Gazas erstes Psychisches Gesundheitszentrum der
Gemeinde Gaza (GCMHC). Heute haben wir 11 solcher Zentren, die Menschen
mit psychischen Problemen helfen, besonders Kindern, Frauen und
Folteropfern, deren Zahl in die Tausende gehen. Außerdem haben wir
Hunderten von Ärzten, Krankenschwestern und Lehrern Kurse für
grundlegende Beratung gegeben.
Das
Palästinensische Menschenrechts-Informationszentrum schätzt, dass es
während der 1. Intifada 130 472 verletzte Palästinenser und 1282 Tote
gab, von denen 332 Kinder waren. Diese Zahl schließt Opfer ein, die
angeschossen, geschlagen, mit Tränengas angegriffen oder Brandwunden
erhielten und nun ihr Leben lang behindert sind. Etwa 57 000
Palästinenser wurden verhaftet und viele sind systematisch physisch und
psychisch gefoltert worden oder sind direkt Zeugen von Gewalt gegenüber
Familienangehörigen und Freunden geworden. Die 1. Intifada glorifizierte
die palästinensischen Kinder, die mit Steinschleudern israelische Panzer
„angriffen“ als „Kinder der Steine“ . Aber diese jungen Helden sind noch
immer Fleisch und Blut, die denselben traumatischen Belastungen
ausgesetzt waren, wie die professionellen Kämpfer.
Im
GCMHC führten wir eine Untersuchung an 3000 Kindern durch und fanden
heraus, dass alle mehrfach traumatische Erlebnisse hatten,
einschließlich Zeuge von Morden zu sein. Sie erlebten wie andere
geschlagen, und ihnen die Knochen gebrochen und wie sie mit Tränengas
angegriffen wurden : alles hinterließ unauslöschliche Spuren in ihrer
Psyche.
Für
viele dieser Kinder war es am unerträglichsten, zuzusehen, wie ihr
Vater von israelischen Soldaten geschlagen worden ist – und dieser
keinen Widerstand leistete. Dies ist wirklich eine schreckliche
Erfahrung. Genau wie das Bild eines Jungen, ( Mohamed Dura) der
beschossen und getötet wird, während sein Vater erfolglos schreit, man
solle mit dem Schießen aufhören. Dies hat eine anhaltende Auswirkung auf
jeden Beobachter, besonders aber auf Kinder. Deshalb ist es kein
Wunder, wenn für das palästinensische Kind nicht mehr der Vater als
Vorbild dient, sondern jener Soldat, und kein Wunder, dass seine
Sprache, die Sprache der Gewalt wird und sein Spielzeug und seine
Spiele, Spielzeuge und Spiele der Gewalt sind.
Unser
Bericht geht auch den psychologischen Folgen bei denen nach, die
beobachten mussten, wie das eigene Haus von feindlichen Soldaten
zerstört wird. Das eigene Haus/Heim ist mit dem Gefühl für Sicherheit
und Trost verknüpft.
Wir
untersuchten auch die Konsequenzen von lang andauernden Ausgangssperren,
eine Form von kollektiver Bestrafung, die von der Genfer Konvention und
internationalen Menschenrechtsorganisationen verboten ist. Während der
fünf Jahre der 1. Intifada waren die Gazaner jede Nacht von 7 Uhr abends
bis 4 Uhr früh ins Haus gesperrt . So wurde jedes Haus zu einem
Gefängnis. Wir dokumentierten, wie sich dieses auf das soziale,
wirtschaftliche Zusammenleben vor allem bei Kindern ausgewirkt hat:
aktive Aggression und in manchen Fällen Apathie und Depressionen .
Unsere
Ergebnisse stimmten mit anderen unabhängigen Studien überein, die als
Reaktionen auf lebensbedrohende Erfahrungen Angst, Rückzugssymptome und
besonders unter Kindern eine Zurückentwicklung auf ein früheres
Entwicklungsstadium, Anklammern an die Eltern und Bettnässen
feststellten.
1994
kehrte Yassir Arafat und seine PLO aus Tunis mit dem bekannten
Victory-Zeichen zurück, was gar kein so gutes Omen war.
Die 2.
Intifada, die im September 2000 ausbrach, war zum Teil durch die
Enttäuschung verursacht, die der fehlgeschlagene Friedensprozess mit
sich brachte, und zum Teil durch das von der palästinensischen Behörde
projizierte Image. Es war ein Image eines korrupten, despotischen
Regimes, das sich vom Volk entfremdete und die Gemeinschaft in
chaotische Vetternwirtschaft und militärisches Stammesdenken warf.
Jahrhunderte lang gab es zwei Sicherheitssysteme, die parallel und gut
mit einander arbeiteten: das eine vertrat die
Stammes/Familien/Clan-Gemeinschaft, das andere vertrat die Polizei und
das Gericht. Arafats Regime initiierte einen historischen
Präzedenzfall: in das Stammessystem setzte er seine Offiziere. Diese
Offiziere wurden zu Agenten ihrer Stämme. Die Folge davon war eine
unvermeidliche , chaotische Sicherheitssituation und das Auftauchen
verschiedener Milizen mit sich widerstreitenden Loyalitäten.
In den
letzten Wochen von 1987 erschien im Gazastreifen eine neue Gruppe, die
sich Hamas nannte. Die meisten Führer hatten ihre Wurzeln in der
weltweiten Muslimbruderschaft, und die meisten waren engagiert in
religiösen, kulturellen, pädagogischen u.a. Aktivitäten, zunächst durch
die islamische Gesellschaft, später durch das islamische Zentrum im
Gazastreifen.
Während seiner Herrschaft versuchte Arafat durch Verhaftungen, Folter
und politische Manöver, die Hamas zu destabilisieren, aber die
islamische Bewegung gewann ihre Präsenz während der 2. Intifada zurück.
geholfen hat Eine hoch motivierte und engagierte Armee der Gläubigen,
eine wirtschaftliche Infrastruktur und ein großes soziales
Unterstützungssystem hat dazu verholfen.
Während der 2. Intifada machte der israelische Ministerpräsident Ariel
Sharon klar, dass er an Frieden mit den Palästinensern nicht
interessiert sei. Er rechtfertigte seine Strategie mit dem Verhalten der
palästinensischen Führung und ihrem vorhersagbarem Reflex, Gewalt
anzuwenden.
Im
Januar 2002 wurde Arafat dabei erwischt, eine Schiffsladung mit 50
Tonnen Waffen und Explosivstoffen zu kaufen. Sharon benütze dies, um die
US-Regierung davon zu überzeugen, dass die Palästinenser kein Partner
für den Frieden sind. Islamische und andere Widerstandgruppen fielen
dann unter die Stereotype von terroristischen Organisationen, als sie
mit einer Serie von Selbstmordattentaten gegen israelische Zivilisten
begannen.
Sharon
nützte diesen palästinensischen Terror aus, um die rudimentäre
palästinensische Staatsinfrastruktur zu zerstören. Israelische Panzer
und Bulldozer zerstörten Gazas einzigen Flughafen in Rafah, und es
begann der Bau der Mauer in der Westbank.
Dann
erklärte Sharon den einseitigen Abzug der Siedler aus dem Gazastreifen,
der hastig am 12.September 2005 vollzogen wurde. Die Palästinenser
wussten nicht recht, was sie davon halten sollten. Hamas sagte, Israel
habe sich wegen des gewalttätigen Widerstandes zurückgezogen. Für
Hamas war es ein Sieg. Sharons ranghoher Berater Dov Weinglas war
schnell dabei, Haaretz zu erklären, dass es der Plan sei, den
Friedensprozess zu zerstören, und Israel wolle das demographische
Problem ( mit 1,5 Millionen Palästinensern los werden) . Gaza und seine
ständig wachsende Bevölkerung könne von Israel nicht absorbiert werden,
ohne die Jüdischkeit des Staates zu gefährden.
Doch
sollen wir uns nichts vormachen: wir befinden uns noch immer unter der
effektiven Kontrolle Israels. Israel kontrolliert die Luft über uns und
das Wasser um uns. Es kontrolliert unser Steuersystem, den Im- und
Export von Waren, unsere Bewegungsfreiheit und unsern Zugang zur
Gesundheitsversorgung. Es unterhält eine Sondereinheit in Kesufim, die
die Bewegung eines jeden Palästinensers überwacht. Unsere
Identitätskarten und unsere Pässe werden von Israels herausgegeben ;
unsere Namen, Geburtsdaten, Familien und Adressen sind alle in Israel
registriert. Und vor kurzem errichtete Israel wieder eine militärische
Kontrolle über mehr als ein Viertel des Gazastreifens – als
„Grenzsicherheitszone“.
2004
starb Arafat und sein Nachfolger wurde Mahmoud Abbas . Anfangs war der
neue Führer ehrgeizig und vertrauenserweckend; aber schnell wurde er von
Fatahs inneren Auseinandersetzungen und von Israel geschwächt, das nicht
an einem Friedensprozess interessiert ist. Präsident Bush bestand aus
irgendwelchen Gründen auf einer demokratischen Wahl im Januar 2006. Sie
endete mit einem Sieg der Hamas. Unter Schock und Unverständnis wurde
die Fatahpartei aus einander gerissen, und die überraschte US-Regierung
war schnell dabei, eine Blockade über die neue palästinensische
Regierung zu verhängen – eine Entscheidung, die von Europa und den
arabischen Regierungen beobachtet wurde.
Im
Juni 2006 war ich zusammen mit einer kleinen Gruppe Palästinenser, die
sich mit Elliott Abrams traf, dem Präsidenten des stellvertretenden
Nationalsicherheitsberater, in dessen Büro in Washington DC . Herr
Abrams machte schmerzlich klar, dass die demokratisch gewählte
Hamas-Regierung mit allen Mitteln abgesetzt werden müsse. Ich bin kein
Hamasanhänger, aber wir versuchten Abrams zu überzeugen, dass
Verabredungen besser seien als eine Konfrontation. Aber seine
Entschlossenheit war unerschütterlich. Es gibt mit einer Hamasregierung
keine Übereinkunft. „Demokratie ist gut – aber nicht mit der Hamas,“
sagte er.
Später
sollte ich von einem Vanity Fair Artikel erfahren, dass Präsident
Bush Condoleezza Rice und Elliott Abrams mit der Aufgabe betraut
hatte, im Gazastreifen einen Bürgerkrieg anzuzetteln, bei dem Abbas
Fatah-Milizen die Hamas geführte Regierung stürzen sollte. Wir warnten
Abrams, denn es gäbe dann großes Leid und eine Hungersnot und einen
bewaffneten Konflikt . Aber vergeblich. Es würde nicht die Schuld der US
sein, wenn dies geschieht, sagte uns der stellvertretende
Nationalsicherheitsberater.
Unfähig sich mit dem Verlust der Macht abzufinden, wiegelten einige
Fatahmitglieder ihre Sicherheitskräfte mit Hilfe der US-Regierung mit
dem Ziel auf, die Hamasregierung zu lähmen. Es herrschte eine Zeitlang
Chaos: Gaza wurde berüchtigt wegen Kidnapping von Ausländern und dem
Mord an Einheimischen.
Im
Sommer 2005 sagte mir der ägyptische Botschafter bei der PA, dass die
Hamas gut ausgerüstet sei, um den Gazastreifen militärisch in weniger
als drei Tagen zu übernehmen. Er sagte noch, die Hamas habe einen
höheren Standard, was die Führung, Loyalität, die Disziplin und das
Training betrifft als die 40 000 Mann starken PA-Kräfte. Die Schlacht im
Juni 2007 bewies, dass er Recht hatte.
Bei
dem wilden Krieg zwischen den Fraktionen, wurde der Gazastreifen Zeuge
einer Welle brutaler Grausamkeiten, die uns bis ins Innerste
erschütterten. Da wurden Leute von hohen Gebäuden hinuntergeworfen,
Verletzte im Krankenhaus erschossen, Leichen geschändet und auf beiden
Seiten viele gefoltert.
Es
ist klar, dass während so ein Zustand chronischer Vergiftung unsere
Gesellschaft durchdringt, sich jahrelange Traumata häufen. Die Nakbah –
die Entwurzelung 1948, das Leben in den Flüchtlingslagern, die
gewalttätigen Missstände und die Folter durch die israelische
Armeebesatzung, die ständigen Trennungen, der Mangel an Führung, der
Verlust an Hoffnung - alles hat zu unserer tragischen und
traumatischen Situation beigetragen.
Jetzt, während der vergangenen zwei Jahre der Belagerung hat das Bild
der Vaterfigur weiter wegen der hohen Arbeitslosigkeit gelitten. Der
Vater ist nicht mehr in der Lage, für seine Familie zu sorgen. Die
Mütter sind inzwischen politisch aktiver und militanter geworden, da
sich ihr Instinkt, ihre Kinder bei israelischen Luftangriffen zu
schützen, stärker geworden ist. Es ist nicht überraschend, dass der
Wahlsieg der Hamas vor allem durch die Stimmen der Frauen zustande kam.
Im
Januar dieses Jahres begleiteten Rania Kharma, ein Mitglied der
„Kampagne beendet die Belagerung“, und ich eine ausländische Filmgruppe
an verschiedene Orte im Gazasstreifen . Im Al-Shifa-Krankenhaus stellten
wir den Filmemachern einem 19jährigen Patienten vor, der mehrfach von
israelischen Soldaten angeschossen worden war. Der junge Mann steht vor
der Amputation beider Beine, wenn nicht eine komplizierte Operation
gemacht werden könnte, die aber im Gazastreifen nicht möglich ist. Er
ist einer von 1500 Patienten, denen kein Passierschein gegeben wurde, um
den Gazastreifen für eine medizinische Behandlung zu verlassen.
Als
nächstes besuchten wir die Dialyse-Abteilung. Zehn Maschinen standen im
Flur und verstaubten. Ein Techniker erklärte uns, dass es keine
Ersatzteile und Wegwerfteile wie Nadeln und Medikamente gibt. Also
können diese lebensrettenden Maschinen nicht arbeiten.
Im
Kinderkrankenhaus im Stadtteil Nasser von Gaza gingen wir in die
Säuglingsabteilung. Hier waren einige Inkubatoren in Betrieb, während
andere in einer leeren Ecke standen. Der Fotograf nahm Fotos von
unnatürlich kleinen Neugeborenen auf, die um jeden Atemzug kämpften. Ich
erklärte, dass die Lebensmittelkrise im Gazastreifen unterernährte
Mütter ungesunde Babys zur Welt bringen lässt.
Eine
Ziegelfabrik besuchten wir als nächstes. Sie musste schließen, weil ihr
Zement und Ersatzteile fehlen. 40 Arbeiter waren arbeitslos, ihre
Familien ohne Einkommen. Sie gehören zu den 67 000 anderen
Fabrikarbeitern und ihren Familien, die ohne Einkommen im Gazastreifen
sind. Ihr Jahreseinkommen/pro Kopf wäre $600 ( im Vergleich zu 21 000
für Israelis) .
Wir
hätten das Filmteam noch zu unserm Hafen nehmen können, wo von den 40
000 Fischern und den anderen, die mit dem Meer ihren Lebensunterhalt
verdienen, nur noch 700 arbeiten. Ihre Boote brauchen Benzin. Israel
verhindert dies. Israel hindert sie auch daran, weiter draußen zu
fischen. Die Oslo-Abkommen 1993 setzten fest, dass die palästinensischen
Fischer bis 20 Seemeilen von der Küste entfernt fischen können. Dies
wurde 2002 zwischen der UNO und Israel auf 12 Seemeilen reduziert.
Jetzt lässt Israel die Palästinenser nicht jenseits der 6 Meilenzone
fischen.
CARE-International fasste die Situation hier in seinem Aufruf vom
7.Juli 2007 zusammen: die kürzliche Zerstörung der wesentlichen
Infrastruktur verschlimmert die Schwierigkeiten, mit denen Tausende von
Palästinensern konfrontiert sind, deren Stabilität durch zunehmende
Gewalt, Lebensmittelknappheit und Verlust des Einkommens geprüft worden
ist. Unmittelbar betroffen sind die Auswirkungen von Nahrungsmittel-,
Wasser- und Stromknappheit, die Beseitigung von Abwässern und die
Aufrechterhaltung von Notgesundheitsdiensten. Längerfristig macht man
sich Sorgen über die psychologischen Traumata der zivilen Bevölkerung,
besonders der Kinder.
Im
Oktober 2007 haben mehr als 30 Menschenrechtler im Gazastreifen die
palästinensische internationale Kampagne zur Beendigung der Belagerung
gegründet (www.end-gaza-siege.ps)
Eine
Petition zirkulierte und im Dezember hatten fast 4000 Menschen
unterschrieben. Als Chef der Kampagne gelang es mir, durch einen der
Kontrollpunkte zu kommen und gelangte zur israelischen Friedensgruppe
Gush Shalom.
Am 18.
Januar dieses Jahres verurteilte John Dugard
(UN-Sonderberichterstatter über den Stand der Menschenrechte in den
palästinensischen Gebieten), Israel wegen der Übertretungen des
strengen Verbotes kollektiver Bestrafungen, wie sie in der Vierten
Genfer Konvention enthalten sind; auch wegen des Verstoßes gegen „eines
der Grundprinzipien des Völkerrechtes, dass militärische Aktionen
zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden müssten. Solche
Verstöße sind feige Akte und die die dafür verantwortlich sind, haben
sich ernster Kriegsverbrechen schuldig gemacht und sollten angeklagt und
für diese Verbrechen bestraft werden,“ sagte er.
Die
Belagerung von 1,5 Millionen Menschen auf einem 139qkm Landstreifen
geht aber weiter.
Der Märtyrer als
Selbstmordattentäter
Eines
Tages besuchte mich ein 16jähriger Junge in meiner Klinik. Er sagte:
„Ich bin kein Patient. Ich brauche aber Ihre Hilfe“.
Ich
sagte: „Was brauchst du?“ „Ich brauche eine Bombe“ „Und wozu brauchst
du eine Bombe?“
Er
sagte: „Ich lebe mein ganzes Leben im Gazastreifen. Ich habe alle Bücher
über Palästina gelesen, die ich in meine Hände bekommen konnte. Ich habe
mir eine Lösung ausgedacht: Jeder von uns soll einen Juden töten und
sich selbst. Und genau deshalb brauche ich eine Bombe.“
Ich
weiß nicht, was mit diesem Jungen weiter geschehen ist; ich hatte ihm
keine Bombe gegeben. Aber dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie
ein junger Palästinenser nach einer langen Geschichte von
Traumatisierung, Demütigung und immer wieder Opfer-sein fühlt.
Lange
Zeit träumte ich auch davon, wie ich die Knesset, das israelische
Parlament angreifen würde, wie ich seine Mitglieder zusammentreiben und
jeden einzelnen an die Decke spießen würde.
Einmal
bat mich ein Journalist, ihn mit einem potentiellen Märtyrer bekannt zu
machen.
„Warum
willst du dich in die Luft jagen?“ fragte er den jungen Mann. „Würden
Sie nicht für Ihr Land kämpfen? Natürlich würden Sie das . Und Sie
würden dann in Ihrem Land als tapferer Mann angesehen werden. Ich will
als Märtyrer in Erinnerung bleiben.“
Im
Koran, dem einflussreichsten Buch in den arabischen Ländern der letzten
14 Jahrhunderte, versprach Gott den Muslimen, wenn sie sich um des
Islams willen opfern würden, dann würden sie nicht sterben. Sie würden
im Paradies weiterleben. Muslime, Männer und Frauen, sogar Säkulare
halten sich an dieses Versprechen. Der Himmel ist die letzte Belohnung
für den Gläubigen, der den Mut hat, den letzten Test des Glaubens zu
bestehen.
Was
der potentielle Märtyrer nicht sagte, war, dass er von einem großen
Verlangen nach Rache brannte. Was er auch nicht sagte, war, dass er im
Alter von 6 Jahren Zeuge wurde, wie sein Vater von israelischen Soldaten
geschlagen wurde. Der Anblick wie sein Vater weggeschleift wurde und ihm
Blut aus der Nase rann – das hat er nicht vergessen können.
Ein
16jähriger Junge im Gazastreifen von heute ist jemand, für den das Leben
ein Gefängnis ist. Er darf den Gazastreifen nicht verlassen. Er hat
Bombardements und Tötungen gesehen und Morde und Blut und Demütigungen.
Er denkt nicht daran, dass er eine Zukunft als Wissenschaftler, als Arzt
oder Ingenieur hat. Trauriger- und tragischerweise denken deshalb viele
von ihnen, dass es das beste sei, ein Märtyrer zu werden.
Als
Psychologe sehe ich dies als eine Folge unserer Umwelt. Die Leute sind
nicht geboren worden, um Märtyrer zu werden. Leute sind nicht geboren
worden, um Helden zu werden. Wenn man eine Umgebung von Hoffnung und
Freude hat, wird man alles tun, um vor dem Tod und vor dem Töten
zurückzuschrecken. Wenn man aber eine Umgebung der Hoffnungslosigkeit
und Verzweiflung hat, dann gibt es Märtyrer, die glauben, Tod ist der
Anfang zum Leben.
Da
gibt es einen Augenblick für einen potentiellen Märtyrer, wenn er oder
sie sich entscheiden, ein Märtyrer zu werden. Aber da geht ein Prozess
voraus, ein Prozess einer inneren Verwandlung. Dann kommt der Moment
wenn der Möchte-gern- Märtyrer jemanden trifft – in der Moschee oder auf
der Straße oder in der Schule, egal wo – und diese Person stellt ihn
anderen vor, die sich darauf vorbereitet haben, ihm zu helfen, den
Himmel zu erreichen.
Seit
Jahren werde ich von Leuten darum gebeten, westlichem Publikum zu
erklären, warum jemand mit normalem Verstand sich selbst töten und
andere unschuldige Leute mit in den Tod reißen will. Vor sechs Jahren
stellte mir Paula Zahn vom CNN diese Frage. Ich antwortete, dass die
heutigen Selbstmordattentäter – oder Märtyrer, wie wir sie nennen – die
Kinder der ersten Intifada sind, viele von ihnen wurden im Alter von
sechs oder sieben, Zeugen, wie ihre Väter geschlagen oder mit
Verachtung angespuckt wurden. Inzwischen hat sich so viel Rache in
ihnen angesammelt. Und nun hat sich die Identität des Teenagers mit
der ihres Volkes
verbunden, das seit einem halben Jahrhundert leidet, seit es aus seiner
Heimat Palästina entwurzelt wurde.
Zahn
spielte dann ein Videoclip von US-Verteidigungsminister Rumsfeld, der
behauptete, dass der irakische Präsident Saddam Hussein Tausende von
Dollars an Familien von palästinensischen Märtyrern gegeben habe.
Dann
ging unser Interview weiter:
Zahn:
Dr. Sarraj, welche Rolle spielt denn dieses dicke Geld bei der
Motivation. Wir wissen alle, dass die Wirtschaft in Scherben liegt.
Sarraj: Ja. Nun bei all den Fällen, die ich selbst beobachtet habe in
der Klinik und außerhalb der Gemeinde, war Geld oder die finanzielle
Situation für niemanden ein Motiv, sich in dieser Weise umzubringen.
Der wirtschaftliche Faktor oder gar der Bildungsfaktor war unbedeutend.
Was bei unseren Untersuchungen wichtig war, war die persönliche
Geschichte des Traumas. Die Kultur, in der die Leute erzogen werden, die
Art oder der Grad des Glaubens, den die Leute haben, und ihre
Selbstverständnis und das Verständnis der Nation, des Konfliktes und der
Islam selbst. Dies ist ausschlaggebend.
Damit
war unser Interview zu Ende.
Ich
sagte, dass heute der Kampf der Palästinenser der ist, wie man nicht zu
einer Bombe auf Beinen wird. Und das Erstaunliche ist nicht der Vorfall
von Selbstmordattentätern, sondern eher, dass dies so selten geschieht.
Die Außenwelt kann es noch immer schwer begreifen , warum es so ist.
Es ist viel leichter zu sagen, sie würden es wegen des Geldes tun. Sie
tun es, weil für sie das Märtyrertum eine Art Macht darstellt, die
Macht über Leben und Tod. In einer Umwelt absoluter Verzweiflung, sagt
einem das Vorbild des Märtyrers genau das, was man empfindet, dass Leben
und Tod gleich sind. So wird der Bomber zum Modell.
Ja –
dies ist sehr traurig.
Jenseits von
Märtyrertum
Der
frühere US-Präsident Jimmy Carter besuchte vor kurzem den Gazastreifen.
In einem Artikel für The Guardian (8.Mai 2008) schrieb er: „Die
Welt ist Zeuge eines schrecklichen Menschenrechtsverbrechens im
Gazastreifen, wo 1,5 Millionen Menschen gefangen gehalten werden mit
fast keinem Zugang zur Außenwelt. Eine ganze Bevölkerung wir brutal
bestraft.“
Was
der frühere Präsident weiter sagt, ist sehr wichtig, und der Herausgeber
von The Link sagte mir, dass er seinen Artikel noch einmal voll
am Ende meines Artikels bringen wird.
In
seinem Artikel zitiert Präsident Carter einen Bericht von B’tselem,
einer führenden israelischen Menschenrechtsgruppe: zwischen 27.Februar
und 3.März dieses Jahres (2008) wurden 106 Palästinenser getötet, 54 von
ihnen waren Zivilisten und 25 waren unter 18.
Der
Präsident hätte einen früheren Bericht von B’tselem zitieren können, der
zeigt, dass nach dem israelischen Abzug ( der israelischen Siedler aus
dem Gazastreifen) am 12. September 2005 bis 25.Juli 2007 668
Palästinenser im Gazastreifen von israelischen Sicherheitskräften
getötet worden waren. Mehr als die Hälfte waren Zivilisten und 126 davon
waren Kinder. Während derselben Zeit wurden durch von militanten
Palästinensern abgefeuerten Qassam-Raketen 8 Israelis getötet, die
Hälfte von ihnen Zivilisten.
Professorin Sara Roy und ich waren in unserem Boston Globe
Artikel zu dem Schluss gekommen, dass Gaza sich nicht mehr einem
wirtschaftlichen Kollaps nähert. Der Kollaps ist bereits eingetreten .
Nach der Intensität von Unterdrückung, mit der der Gazastreifen
konfrontiert ist, liegt der Kollaps seiner Gesellschaft – der Familie,
der Nachbarschaft und der Gemeindestrukturen weit zurück. Wir werden
die Konsequenzen davon noch nach einigen Generationen tragen müssen.
Ich
habe so vielen Geschichten von Kindern zugehört, die traumatisiert
worden sind durch das, was sie gesehen und gehört haben: sie leiden an
Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit und an Angst, aus dem Haus zu gehen.
Jahrelang müssen Eltern ihren Kindern Schlaftabletten geben, weil sie
sonst nicht schlafen können. Nun gibt es keine Schlaftabletten mehr .
Und die Frage ist: Gibt es auch keine Hoffnung mehr?
Ich
stimme mit Präsident Carters Verurteilung der Hamas Raketenangriffe auf
Sderot überein.
Ich
pflichtete ihm bei, die Hamas zu drängen, einen einseitigen
Waffenstillstand einzuhalten oder mit Israel ein mit einander
abgestimmtes Abkommen über die Beendigung aller militärischen Aktionen
in und rund um den Gazastreifen für eine längere Periode auszumachen.
Hamasführer sagten dem Präsidenten, dass sie solche Annäherungsversuche
in der Vergangenheit gemacht hätten, dass Israel dies aber
zurückgewiesen hätte. Aber dass sie bereit seien, eine gegenseitige
Feuerpause die nur den Gazastreifen betrifft, einzuhalten. Auch dieses
Angebot hat Israel abgelehnt.
Ich
habe nun Hamas seit vielen Jahren aus der Nähe beobachtet und mit
seinen Führern debattiert . Ich glaube, es gibt einen guten Grund, mit
den terroristischen Aktivitäten aufzuhören. Nach dem erstaunlichen
Sieg bei den Gaza-Gemeinde-Wahlen im Mai 2005, hat Hamas jetzt eine
garantierte politische Zukunft, falls es den bewaffneten Kampf
jetzt aufgibt.
Ich bin mit Präsident Carter der Überzeugung, dass die Zeit für
deutliche Stimmen aus Europa, den USA und anderswo gekommen ist, um
nicht nur auszusprechen, sondern um auch die Menschenrechtstragödie zu
verurteilen, die über das palästinensische Volk gekommen ist.
Meine
Hoffnung ist, dass die neue amerikanische Regierung für den Nahen Osten
einen diplomatischen Weg suchen wird und nicht die Konfrontation. Ich
glaube, wenn man sich mit Hamas zusammensetzt und anerkennt, dass sie
ein Hauptakteur ist, dann kann das Problem mit den Raketen gelöst werden
. Wenn dies nicht geschieht und diese Bewegung weiter isoliert wird,
dann werden weiter Raketen abgefeuert. Es gibt keine allgemeine Bewegung
gegen das Abfeuern der Raketen. Wenn es keine Hoffnung auf ein Ende der
Besatzung gibt, wie sollen sie gegen diese Art von Widerstand sein? Die
Leute befürworten die Raketen gegen Israel und werden dies weiter tun,
bis es Hoffnung auf ein Ende der Besatzung gibt, und die Palästinenser
ihr Land, ihre Rechte und ihre Freiheit zurückbekommen.
Auf
jeden Fall liegen die Chancen für eine Art palästinensisch-israelische
Versöhnung noch weit entfernt. Selbst wenn die Palästinenser Versöhnung
wollten , gibt es starken amerikanischen Widerstand bei dem Gedanken
irgendeines Dialogs mit der Hamas.
Der
Hauptdarsteller des Spieles heute ist das fundamentalistische Regime in
Amerika, und ich bezweifle, dass es mit Hamas zu reden bereit ist.
Washington will einfach gemeinsame Sache mit Israel machen, um die
Belagerung fortzusetzen. Unsere Hoffnung ist die, dass die nächste
Regierung der USA die Dinge anders sehen wird. Versöhnung ist nur dann
möglich, wenn auf beiden Seiten Verantwortliche stehen, die Mut und
Weisheit haben.
Ich
sehe auf der israelischen Seite etwas Hoffnung. Vor drei Jahren wurde
ich am Gaza-Grenzübergang mit einigen Kollegen festgehalten. Innerhalb
des befestigten Postens war ein Soldat, dessen Gesicht alle paar Minuten
in der schmalen Öffnung der Betonwand erschien. Zu meiner Überraschung
rief er mich und fragte: „Ihre Kollegen sagen, sie seien ein Psychiater.
Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“ „Ja“, antwortete ich misstrauisch.
„Ich habe ein Problem, Doktor. Ich lebe in einer Siedlung in Hebron, und
ich möchte diese verlassen,“ sagte der Soldat.
Ich
verbarg meine Überraschung, spielte den Psychiater und hörte ruhig
diesem jungen Mann mit kindlichem Gesicht zu, als dieser fortfuhr: „
Meine Eltern wollen, dass ich bleibe, aber ich weiß, dass dies nur zu
weiterem Töten führt. Ich mag nicht dort leben, aber ich will auch
meine Eltern nicht verärgern, die ihr Leben dem meinem gewidmet haben.“
Nach
kurzer Überlegung sagte ich:“ Ich denke, es wäre das beste, wenn du mit
deinen Eltern darüber redest. Es wäre das beste, du könntest sie von
deiner Entscheidung überzeugen. Aber ich will dir noch etwas sagen, mein
Freund. Der Soldat lächelte als ich fortfuhr: „ Indem du mich als
Gesprächspartner für Dein Problem gewählt hat, hast du mich stolz
gemacht, stolz auf die Menschlichkeit und dass sie Zukunft hat.“
Er
streckte seine Hand durch den schmalen Schlitz, drückte meine Hand und
sagte: „Ich vertraue Ihnen.“
(dt.
Ellen Rohlfs)
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