Und was kam nach
Annapolis … erfüllte Versprechen?
Wie sieht das vor Ort aus?
Nadia Harhash, 7.12.07
Der Montag war für die
israelischen Behörden ein sehr engagierter
Tag: es ging um die Erfüllung der
Versprechen von Annapolis.
Wir eilten nach Sur Baher,
einem palästinensischen Dorf am
südöstlichen Rande Jerusalems. Es ist von
allen Seiten von Siedlungen umgeben, die
neueste (und größte) ist Har Homa/ Abu
Ghneim, dem jetzt 300 Wohneinheiten neu
hinzugefügt werden sollen. Annapolis in
Praxis ?
Wir wussten, dass wir
schon eine Hauszerstörung versäumt haben,
die vorher in Zaayyem, einem anderen östl.
Vorort Jerusalems auf Westbankgebiet
stattgefunden hat.
Wir nahmen ein Taxi und
fuhren anscheinend ins nirgendwo hin . Es
ist immer wieder eine Überraschung, wenn man
sich in Stadtteilen befindet, die direkt
hinter der Zivilisation liegen. Es ist als
ob wir uns auf einmal in einem anderen
Zeitabschnitt der Entwicklung befinden, als
ob wir in eine vorgeschichtliche Ära
eintauchen, wo uns nur Straßen trennen und
nicht die Zeit.
Unser Abenteuer begann,
als wir einen der Bulldozer, der von
Armeejeeps schützend umgeben war,
entdeckten, der sich zu einem unbekannten
Ort, wohl einem weiteren möglichen
Zerstörungsziel, bewegte . Unser Freund
hatte uns einen Bulldozer beschrieben; nun –
nach einer langen Fahrt - entdeckten wir,
dass wir einem anderen folgten, der die
erste Hauszerstörung hinter sich hatte.
Anscheinend war eine Zerstörung pro
Bulldozer genug.
Wir schauten uns nach
allen Seiten um im Hummos-Tal. Ich hatte
hier nie eine so weite Landschaft erwartet.
Schließlich waren wir angekommen, genau zur
rechten Zeit vor der nächsten
Hauszerstörung.
Dutzende von Leute
schauten schweigend zu, als die riesigen
Kinnladen dieses bösartigen stähleren
Ungeheuers mit seiner Arbeit begann.
Der Besitzer des Hauses
war nicht da, er war bei der Arbeit, hatte
anscheinend mit einem normalen Arbeitstag
gerechnet.
Weniger tragisch war,
dass das Haus noch neu und unbewohnt war.
Die erste Hauszerstörung betraf ein voll
bewohntes Haus. Während wir zuschauten,
kamen immer mehr Leute. Und als das Haus dem
Erdboden gleich gemacht war, begann die
Armee mit sieben oder acht verschiedenen
Fahrzeugen und Pferden und einer Menge
Soldaten sich rückwärts zu bewegen.
Während die andern hilf-
und sprachlos dastanden, fragte ich nach dem
Hausbesitzer. Einer der Männer zeigte auf
einen jungen Mann, der gerade ankam. Er
lächelte. Alle zeigten ihm ihr Mitgefühl
und sagten, Gott sei mit ihm und ER würde
weiterhelfen. Er ging auf die Haustrümmer zu
und plötzlich sprang er auf einen
Grenzpolizisten und versuchte den Fahrer des
Bulldozers zu greifen. Die Stille war auf
einmal weg – es entstand lärmende Unruhe.
Auch wenn jeder versuchte, den anderen zu
beruhigen. Die Polizei zog sich schnell
zurück …
Während wir anfangs noch
den Platz suchten, war ich erstaunt über das
Schweigen und die Gleichgültigkeit, die die
Leute zeigten, von denen die meisten gar
nicht wussten, dass hier Häuser zerstört
werden. Und die, die darum wussten, taten
so, als sei es eine ganz normale
Angelegenheit . Alles schien so, als wäre es
ein normaler Akt. OH DIE BULLDOZER KOMMEN,
UM IRGENDWO WIEDER EIN HAUS ZU ZERSTÖREN -
wen kümmert das schon?
Die Leute schauten die
Zerstörung an, als ob es etwas wäre, das nur
diejenigen angeht, deren Haus zerstört
wurde. Es was ein so überwältigender Zustand
der Gleichgültigkeit, der die ganze
Atmosphäre erfüllte.
Nach drei Zerstörungen in
den letzten Stunden wäre es keine
Überraschung gewesen, hätte es noch eine
Zerstörung gegeben. Vor der Zerstörung des
letzten Hauses ging ein Gerücht durch die
Menge: die in der Nähe stehende Moschee
solle zerstört werden.
Anscheinend gab es nur
einen Weg, die Menschen zu mobilisieren und
ihren Gefühlen freien Lauf zu geben, dass
man sie in die Moschee holte und sie
Gottes Haus verteidigen ließ.
Plötzlich hörte man den
Lautsprecher der Moschee. Er rief die Leute,
zur Moschee zu kommen. Und alle Bewohner des
Dorfes eilten in die Moschee.
Ich wunderte mich über
diese Gleichgültigkeit, wenn ein Haus nah
dem anderen eingerissen wird, wenn die
Bulldozer sich dem Dorf nähern und alle
Leute nur einfach zusehen und nichts dagegen
tun.. Aber durch einen einzigen Ruf von der
Moschee her kommen alle gelaufen.
Wenn einer der
einflussreichen Männer die Leute rufen
würden, wenn sich die Bulldozer nähern, dann
könnte manches anders laufen.
Die Besatzungsarmee kann
zwar gewalttätig werden – aber gibt es denn
eine schlimmere Aggression als das Zerstören
unserer Häuser? Warum schreit nicht jeder
auf, um die Häuser von hilflosen Leuten zu
schützen? Aber jeder eilt, um GOTTES Haus zu
retten. GOTT braucht unsern Schutz nicht.
ER kann sein Haus selber schützen. ER würde
es lieber sehen, wenn wir zusammen um
unsere Häuser kämpfen – einer für den
anderen.
Es ist schon sonderbar,
wie jeder schnell bereit ist, dem
ALLMÄCHTIGEN GOTT beizustehen – der uns
wirklich nicht braucht. Wir starren auf
unser Leben, wie es vor unsern Augen
zerstört wird, halten still und schauen nur
zu.
Wir willigen ein, unsern
Geist aufzugeben – aber es gelingt uns
nicht, in das Loch der Verzweiflung zu
fallen, das zu unserm Friedhof geworden ist.
(dt. – zuweilen etwas
freier übersetzt : Ellen Rohlfs Der
Artikel macht mir deutlich, wie krank die
paläst. Gesellschaft nach 40 Jahren
Besatzung ist . und Annelise Butterweck
erinnert bei diesem Artikel an das Wort:
„Religion ist Opium für das Volk“ – das
scheint sich hier zu bewahrheiten.
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