Sorge
um kleines Getier
(Etwas
andere Gedanken zur Mauer )
Meron Benvenisti, Haaretz, 10.9.04
Zwei Hauptforderungen sind
von Umweltgruppen in Verbindung mit den Umweltschäden erhoben
worden, die durch den Trennungszaun verursacht worden sind:
„Umwelt-Kompensation“ innerhalb der Grünen Linie und das
„Einrichten von Übergängen für kleines Getier“.
Man steht fassungslos vor
solch eklatanter Nichtbeachtung der menschlichen und natürlichen
Landschaft. Schreckliche Umweltschäden werden auf großen Flächen im
Herzen des Landes begangen. 17 Millionen cbm Erde mit Zehn Tausenden
von Olivenbäumen, Tausenden Dunum Land voller Obstgärten und Haine,
zehn Tausende Dunum von naturbelassenem Land, Gewächshäuser,
archäologische Stätten und Brunnen – dazu auch die Lebensgrundlage
von Hundert Tausenden von Menschen – sind von riesigen Bulldozern
zerstört worden. Doch die Umweltorganisation hat nichts über den
Schaden zu sagen, der durch den Zaun/ die Mauer verursacht wird.
Im Gegenteil: sie nützt die
Tragödie der anderen aus, um ihre eigenen Interessen zu fördern: die
Zerstörung der palästinensischen Umwelt bietet die Gelegenheit
„Umwelt-Kompensation“ innerhalb Israels zu fordern. Außerdem kämpfen
die Umweltschützer um sichere Übergänge für kleine Wildtiere,
während sie die Tatsache ignorieren, dass Hundert Tausenden von
Menschen die Bewegungsfreiheit willkürlich verwehrt wird –
einschließlich kleiner Kinder. Was für eine selektive Sensibilität!
Natürlich wollen die
Umweltschützer Probleme vermeiden, die als politisch betrachtet
werden – besonders wenn der Trennungszaun sich weit verbreiteter
Unterstützung erfreut und die wenigen Gegner als Verräter beschimpft
werden. Das „Mandat“, das die Umweltschützer übernommen haben, endet
an der Grünen Linie – und was auf der anderen Seite geschieht,
interessiert sie nicht. Man klage sie ja nicht des Landraubes an!
Aber den zerstörerischen
Konsequenzen einer ethnischen und geopolitischen Annäherung
gegenüber der Umwelt sollte eher Aufmerksamkeit geschenkt werden,
als die ökologische Betrachtungsweise derselben. Eine Bergkette,
die zufällig innerhalb Israels Grenzen liegt, verdient sorgfältige
Bewahrung als „Ökologisches Reservat“ von großem Wert. Aber die
Teile derselben Bergkette, die auf der anderen Seite des Zaunes
liegen, interessiert niemanden. Der angerichtete Umweltschaden wird
aus Sicherheitsbetrachtungen gerechtfertigt und kann deshalb
ignoriert werden – „er steht nicht in unserer Verantwortung“. Auf
diese Weise haben diejenigen, die die Umwelt zerstören und der
Landschaft Gewalt antun, die volle Freiheit, ihr Zerstörungswerk
fortzuführen, das – ironischerweise – von der Liebe zum Land Israel
und der Heiligkeit des Bodens motiviert wird.
Die Reihe von Außenposten
und der Plan der Siedlungskontinuität ...stellen ein Programm von
Umweltzerstörung größten Ausmaßes dar. Eine Kette von Außenposten,
deren Standort nur von politischen Gesichtspunkten bestimmt ist,
zielt dahin, zwischen die palästinensischen Siedlungsblocks Keile
zu schieben Die Folge davon wird eine Reihe krakenartiger Arme
sein, die sich km weit hinziehen, die Häuser und andere
Einrichtungen, auch Straßen und Infrastruktur einschließen und so
die Umwelt verunstalten und eine chaotische Entwicklung hervorrufen.
Diese Krakenarme, die
palästinensische Bevölkerungszentren fest im Griff haben, verbinden
israelische Siedlungsblocks mit breiten, „nur für Juden“ vorgesehene
Straßen, während parallel Wege „nur für Palästinenser“ geebnet
sind. Dieses Straßensystem schädigt die Landschaft und zerstört
ökologische Standorte. Wer würde es wagen, sich mit so etwas
trivialem wie Umweltschutz zu beschäftigen, wenn wir es mit dem
schicksalhaften Kampf um das Land Israel zu tun haben?
Und wenn jene für die Umwelt
Verantwortlichen einerseits still bleiben, dann aber ein
Zetergeschrei genau darüber erheben, beuten sie die Ökologie für
ihre politische Agenda aus. Wehe denen, die z.B. behaupten, dass
das Außenpostenfieber gewisser Weise mit der Preistreiberei des
Grundbesitzes zusammenhängt im Hinblick auf das
Privatisierungsbudget für Kibbuz und Moschavland.
Während die Gegner der
westlichen Erweiterung Jerusalems jedenfalls auf dem Sansanberg
sitzen und von der Erhaltung der Natur und dem „Ökologischen
Reservat“ predigen, bleiben sie gegenüber dem Bau von Beitar Illit
( auf der anderen Seite der Grünen Linie) völlig gleichgültig, der
Teile genau dieses Ökologischen Reservats zerstört.
Und wenn dies die Haltung
der Siedler gegenüber der Umwelt im erlösten Land Israels ist,
welche Chancen haben dann Landschafts- und Geschichtswerte gegenüber
IDF-Panzern und Bulldozern, die nur nach Sicherheitsbelangen durch
die Flora pflügen und Gebäude zerstören. Vor weniger als einem Jahr
zerstörten IDF-Panzer viele historische Gebäude der alten Stadt
Nablus, einschließlich Bauten aus byzantinischer, mameluckischer
und der Kreuzfahrerzeit und monumentale palästinensische Bauten.
Anfang August klagte die
Palästinensische Behörde, dass nahe der Abrahamsmoschee in Hebron
Gebäude aus der Mameluckenzeit zerstört wurden. Diese Zerstörung
dauert bis heute an als Vergeltung für das Abfeuern von Raketen in
den westlichen Negev. Und die Palästinenser, die dringend Land
benötigen ... bauen ohne Rücksicht auf Umwelt und vernünftiger
Städteplanung. Dasselbe geschieht im riesigen Großraum von
Groß-Jerusalem, das sich von Ramallah bis Bethlehem erstreckt.
Ein Gedanke der
Hoffnungslosigkeit kommt in mir hoch: bevor das Schicksal des
umstrittenen Landes gelöst wird, wird nichts mehr von dem übrig
sein, um das man kämpft.
Und dann wird über den
Ruinen ein lautes Wehklagen zu hören sein.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)