Ludwig Watzal
Dialog mit arabischen Staaten im Bundeskanzleramt
Demokratie ist kein Exportgut
Das Verhältnis des Westens zur
muslimischen Welt ist ohnehin grundsätzlich kompliziert. "Der Islam"
ist spätestens seit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 ins
Gerede gekommen, gilt schnell als verdächtig. Hinzu kommt, dass seit
dem völkerrechtlich höchst umstrittenen Überfall einer "Koalition
der Willigen" unter Führung der USA auf den Irak das Verhältnis
weiteren schweren Belastungen ausgesetzt ist. Seither stehen
verschiedene muslimische Länder im Fadenkreuz der amerikanischen
Kritik. Schadensbegrenzung ist deshalb nicht nur auf der
internationalen Ebene das Gebot der Stunde, sondern auch auf der
bilateralen. Dieser Aufgabe hat sich das Institut für
Auslandsbeziehungen (ifa) zusammen mit der Kommunikationsabteilung
des Auswärtigen Amtes gewidmet. Was 1977 als "Mediendialog" zwischen
Medienvertretern aus Deutschland und der arabischen Welt begann, hat
sich seither zu einem Dialog über Politik und Zivilgesellschaft
weiterentwickelt.
Im Rahmen dieses Dialogprogramms mit der
arabischen Welt fand im Bundeskanzleramt eine international besetzte
Tagung statt, an der zahlreiche Politiker, Diplomaten,
Intellektuelle und Medienvertreter aus elf arabischen Ländern sowie
aus Deutschland teilnahmen. Unter dem Thema "Transformationsprozesse
in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens" wurden
gesellschaftspolitische Fragen diskutiert, wie Veränderungen in der
arabischen Welt hin zu mehr Demokratie, Partizipation und
Zivilgesellschaft erreicht werden können. Dazu gaben die Vertreter
Deutschlands Anregungen. So erläuterte Bundesjustizministerin
Brigitte Zypries die Entwicklung der rechtsstaatlichen Ordnung in
Deutschland, die bei den Vertretern aus der arabischen Welt auf
großes Interesse stieß und eine intensive Diskussion auslöste. Große
Einigkeit bestand darüber, dass man "Demokratie" nicht einfach
exportieren könne, wie sich dies die Strategen des Pentagon
ausgemalt hätten. Wie es denn nicht primär um Demokratieexport gehen
sollte, sondern um die Ermöglichung von Freiheit und Gerechtigkeit,
wie der Staatsrechtler Hans-Peter Schneider von der Universität
Hannover betonte. Nach Udo Steinbach, Direktor des Orient-Instituts
in Hamburg, solle man seit dem amerikanischen Überfall auf den Irak
und der kritiklosen Hinnahme israelischer Unterdrückungspolitik
nicht mehr von Demokratie reden: "Sie ist diskreditiert." Dieser
Feststellung widersprach Lothar Brock, Politikwissenschaftler an der
Universität Frankfurt/M. Gerade unter diesen Umständen und den
Ereignissen des 11. September müsse verstärkt über den Zustand der
Demokratie in den westlichen Gesellschaften geredet werden.
Zu welchen Ergebnissen das Konzept von "one men,
one vote" führt, haben die Wahlen in Algerien gezeigt. Würde dieses
Konzept auf einige arabische Länder angewandt werden, wäre der
radikale Islam der Sieger, wie der Mittelost-Korrespondent der
"Süddeutschen Zeitung", Rudolph Chimelli, zu bedenken gab. "Wir
sollten nicht sollen, was wir nicht wollen." Dass die arabische Welt
zur Demokratie unfähig sei, wie einige ethnozentrisch ausgerichtete
Wissenschaftler in den USA immer wieder behaupten, wird durch die
Entwicklung in Bahrain widerlegt, die Hassan Al-Bastaki vom Center
für Forschung und Studien darlegte.
Das Bewusstsein der Menschen in der arabischen
Welt wird durch den Nahostkonflikt und die Unterdrückungspolitik
Israels weitgehend bestimmt. Dies wurde von einigen Vertretern aus
der arabischen Welt immer wieder hervorgehoben. Der
israelisch-arabische Konflikt habe die demokratische Entwicklung der
arabischen Welt behindert, stellte Selim Muawwad vom Zentrum für
Demokratie in Beirut fest. Für Hani Shukrallah von der ägyptischen
Tageszeitung "Al-Ahram" leiden die Araber seit dem Sechstagekrieg
von 1967 unter einem Kollektivtrauma. So sei für die USA Israel das
Paradebeispiel für Demokratie im Nahen Osten, obwohl das Land ein
anderes Volk unterdrücke. Das Gefühl der Minderwertigkeit und
Unterdrückung sei latent vorhanden und dürfe nicht unterschätzt
werden. Es sei das Haupthindernis für eine Demokratisierung in der
arabischen Welt. Die Unterdrückung setze sich in der Gestalt von
Israel fort. Shukrallah wollte diese Kritik jedoch nicht als
Entschuldigung für eigenes Versagen verstanden wissen. "Ägypten habe
nicht gegen den Irakkrieg demonstriert, weil wir auch sonst nicht
für unsere eigenen Rechte demonstrieren."
Wie selbstkritisch mit der eigenen Gesellschaft
umgegangen wird, zeigten die Ausführungen von Mohammad Shahrour,
Professor für Ziviltechnik in Damaskus. Er forderte eine
fundamentale Kritik der Kultur und der Religion. "Das Erbe muss
kritisch neu gelesen und interpretiert werden." Kulturelle und
religiöse Reformen seinen wichtiger als politische, da sie die
Voraussetzung jedweder säkularer Reformen seien. Die religiösen
Rechtsgelehrten haben seit dem 7. Jahrhundert jedwede Herrschaft
gestützt. "Diese religiöse Interpretation ist für den heutigen
Zustand verantwortlich. Das despotische Denken konnte sich durch die
Religion bis heute erhalten." Tragisch sei die Politisierung des
Islam. "Der Islam" könne nicht die Lösung sein. Er habe nur zur
Despotie und schließlich zum 11. September geführt.
Die deutsche Nahostpolitik wurde immer wieder
kritisch hinterfragt, insbesondere was die Rolle Israel betrifft.
Sowohl der Vertreter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als
auch deutsche Regierungsvertreter und Parlamentarier betonten die
besondere Verantwortung gegenüber der Sicherheit Israels aus
historischen Gründen. Für Volker Perthes (SWP) hat zwar die
Sicherheit Israels höchste Priorität, was aber nicht bedeute, dass
Deutschland sich die Sicherheitsdefinition Israels zu eigen mache.
"Israels Sicherheit wird in expansionistischer Weise definiert; dies
ist nicht unser Verständnis." In der Diskussion mit den Vertretern
der Parlamentariergruppe arabischsprachiger Staaten des Nahen Ostens
unterstrich der Vorsitzende, Bundestagsabgeordneter Joachim Hörster,
dass sich die deutsche Position zu Palästina trotz Mauerbaus seitens
Israel nicht geändert habe. "So soll Palästina ein eigener Staat und
eine Nation in den Grenzen von 1967 werden. Für uns ist es eine
Tatsache, das Palästina immer noch besetzt ist; es gilt das
Völkerrecht, und dies gilt es anzuwenden." Für Hörster sind die
Selbstmordattentate völlig inakzeptabel. "Menschen als Waffen zu
benutzen, widerspricht der Würde des Menschen; dafür ist er nicht
gemacht." Die Anliegen der Palästinenser wären glaubwürdiger, wenn
es der Autonomiebehörde gelungen wäre, demokratische Strukturen
aufzubauen und die Korruption des Fatah-Clans einzudämmen, so
Hörster. Von arabischer Seite wurde kritisiert, dass Deutschland
gegen die Ausrüstung seiner an Israel verschenkten drei U-Boote mit
Raketen und Atomsprengköpfen nicht protestiere. Wie man sich
generell eine kritischere Haltung gegenüber der Sharon-Regierung
wünscht. "In Israel gibt es ein blutiges und verbrecherisches
Regime, wie man es sich kaum vorstellen kann, und dies muss
kritisiert werden", so Hassan Khader der Journalist und Herausgeber
des Journals "Alkarmel".
Auch für Ministerialdirektor Bernd Mützelburg vom
Bundeskanzleramt betreibt Sharon "eine inakzeptable Politik, die in
die Katastrophe auch der Nachbarn führt". Darüber hinaus betonte er
die Partnerschaft zu den USA und die Bedeutung einer
funktionierenden transatlantischen Partnerschaft. Primär gehe es
jetzt um die Stabilisierung des Irak im Rahmen der UNO. Er könne
sich aber auch einen "Petersberg-Prozess" vorstellen à la
Afghanistan. Ludwig Watzal
Quelle
Homepage Dr. Ludwig Watzal