Der späte Palästinenserführer Jassir Arafat winkt mit dem
Zeichen des Sieges, nachdem er die Erklärung der Unabhängigkeit
des Staates Palästina von Algier vom 15. November 1988 verlesen
hat.
15. 11. 1988
An diesem Tag vor 32 Jahren erklärte der verstorbene
Palästinenserführer Jassir Arafat von Algier aus die
Unabhängigkeit des Staates Palästina an den Grenzen von 1967 mit
Jerusalem als Hauptstadt.
"Im Namen Gottes und im Namen des
palästinensisch-arabischen Volkes erklärt der Nationalrat die
Gründung des Staates Palästina auf unserem palästinensischen
Land mit dem edlen Jerusalem als Hauptstadt", erklärte Arafat am
15. November 1988 anlässlich einer Sitzung des Palästinensischen
Nationalrats, des palästinensischen Exilparlaments, das in der
algerischen Hauptstadt tagte.
Die
Erklärung der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung, die
von dem verstorbenen Palästinenserführer Arafat vorgelesen
wurde, stammt von dem palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish.
Sie war zuvor vom Palästinensischen Nationalrat, der
gesetzgebenden Körperschaft der Palästinensischen
Befreiungsorganisation (PLO), mit 253 Ja-Stimmen, 46
Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen angenommen worden.
Im April 1989 wählte der PLO-Zentralrat Jassir Arafat zum ersten
Präsidenten des Staates Palästina.
Mit dieser Erklärung war dies ein Wendepunkt in der Geschichte
der palästinensischen nationalen Befreiungsbewegung, als die
Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) die
palästinensische Akzeptanz der Zweierlösung für den
jahrzehntelangen palästinensisch-israelischen Konflikt
bestätigte.
Sie führte auch zur arabischen, islamischen und weltweiten
Anerkennung des Staates Palästina, wie er in Algier erklärt
wurde.
Das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und
Staatlichkeit wurde von der UNO allgemein anerkannt. Dazu gehört
auch die Resolution 3236 der UN-Generalversammlung (UNGA), in
der es heißt, dass das Recht auf Unabhängigkeit Palästinas
"unveräußerlich" ist und dass das palästinensische Volk ein
Recht auf einen "souveränen und unabhängigen" Staat hat.
Auch die Resolution 2649 der UN-Generalversammlung bestätigt das
Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, während
die Resolution 2672 der UN-Generalversammlung erklärt, dass die
Achtung der unveräußerlichen Rechte der Palästinenser ein
unverzichtbares Element bei der Schaffung eines gerechten und
dauerhaften Friedens im Nahen Osten ist. M.N.
Quelle
Unabhängigkeitserklärung des Staates Palästina
Algier, 15.11.1988
Palästina,
das Land der drei monotheistischen Religionen, ist das Land, aus
dem das palästinensisch-arabische Volk stammt, in dem es sich
entwickelte und sich auszeichnete. Das palästinensisch arabische
Volk war immer in Palästina verwurzelt und hat nie seine Bande
mit ihm gelöst. So schloss das palästinensisch-arabische Volk
eine immerwährende Verbindung zwischen sich selbst, seinem Land
und seiner Geschichte.
Das
palästinensisch-arabische Volk festigte im Verlauf seiner
Geschichte seine nationale Identität durch seine legendäre
Standhaftigkeit.
Aufgrund des
Zaubers dieses alten Landes und seiner zentralen Lage an den
Schnittstellen zwischen den Mächten und Zivilisationen wurde das
palästinensisch-arabische Volk durch fremde Ambitionen,
Expansionsgier und Invasionen daran gehindert, seine politische
Unabhängigkeit zu verwirklichen; jedoch hat die dauernde
Verbundenheit des Volkes mit diesem Land ihm seine Identität
verliehenen und dem Volk die Seele der Heimat eingehaucht.
Bereichert durch
aufeinanderfolgende und sich entfaltende Zivilisationen und
Kulturen, inspiriert durch ein vielfältiges Erbe, vollendete das
palästinensisch-arabische Volk sein Wesen durch Festigung der
Einheit zwischen sich und seinem Vaterland. Aus Tempel, Kirche
und Moschee wurde verkündet, dass die Botschaft Palästinas ist,
den Schöpfer zu preisen, barmherzig und friedfertig zu sein. Der
heroische Kampf des palästinensischen Volkes setzte sich von
Generation zu Generation fort. Die aufeinanderfolgenden
Aufstände unseres Volkes waren Ausdruck seines Strebens nach
nationaler Unabhängigkeit. So wurde das Volk durch den Kampf
bestärkt, standhaft im Lande zu verharren.
In der Zeit,
als die moderne Welt ihre Werte und Normen neu formulierte, war
das Kräfteverhältnis der regionalen und internationalen Mächte
derart, dass das palästinensische Volk vom allgemeinen Lauf der
Geschichte ausgeschlossen wurde. Es wurde wieder einmal
deutlich, dass die Gerechtigkeit alleine das Rad der Geschichte
nicht auf den richtigen Kurs bringen kann. Dem
palästinensisch-arabischen Volk, dem die Unabhängigkeit
vorenthalten wurde, wurde mit einer neuen Form der Besetzung
eine neue schmerzliche Wunde zugefügt, die unter der Lüge
auftrat, dass "Palästina ein Land ohne Volk" sei. Entgegen
dieser historischen Verfälschung des bestimmten Artikels 22 des
Völkerbunds (1919) sowie der Vertrag von Lausanne (1923), die
von der Gemeinschaft der Nationen anerkannt waren, dass allen
arabischen Nationen, die sich von ottomanischer Herrschaft
befreit hatten – Palästina eingeschlossen -, die volle Freiheit
und Unabhängigkeit als Nationen zu gewähren sei.
Trotz der
historischen Ungerechtigkeit, die dem palästinensisch-arabischen
Volk widerfuhr und die dazu führte, dass es zerstreut und seines
Rechts auf Selbstbestimmung beraubt wurde, gefolgt von der
Teilung Palästinas in zwei Staaten, einen arabischen und einen
jüdischen, stellt diese UN - Resolution 181 (1947) entsprechend
der internationalen Legitimität das Recht des
palästinensisch-arabischen Volkes auf Souveränität und nationale
Unabhängigkeit sicher.
Die Besetzung
Palästinas und anderer Teile arabischen Territoriums durch die
israelischen Streitkräfte wurden durch willentliche Enteignung
und Vertreibung der Mehrzahl der palästinensischen Zivilisten
aus der Heimat ihrer Vorväter mittels organisierten Terrors
erreicht. Die Palästinenser, die blieben, wurden in ihrer Heimat
unterjocht, verfolgt und gezwungen, die Zerstörung ihres
nationalen Lebens zu erdulden. Dadurch wurden die Prinzipien der
internationalen Legitimität und die Charta der Vereinten
Nationen und deren Resolutionen verletzt. In diesen waren die
nationalen Rechte des palästinensischen Volkes - darunter sein
Recht auf Rückkehr, Heimat, Unabhängigkeit und Souveränität über
das Territorium - anerkannt.
In Palästina und in
seiner Umgebung, im fernen und im nahen Exil, blieb das
palästinensische Volk immer standhaft und gab seine Überzeugung,
dass es ein Recht auf Rückkehr und Unabhängigkeit hat, nie auf.
Besetzung, Massaker und Vertreibung haben nicht über das
standhafte palästinensische Bewusstsein der individuellen und
der politischen Identität gesiegt, denn die Palästinenser nahmen
ihr Schicksal unerschrocken und ungebeugt in die Hand. Aus den
langen Jahren der Prüfungen und des sich entwickelnden Kampfes
ging die palästinensische politische Identität gestärkter und
gefestigter hervor. Der kollektive palästinensische Wille
schaffte sich eine politische Körperschaft, die PLO, seine
einzig legitime Vertretung, sowie miteinander verbundene,
regionale und internationale Institutionen. Die PLO, die auf der
Grundlage der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen
Volkes, des arabischen Nationalkonsensus und der internationalen
Legitimität steht, führte die Kampagnen ihres großen Volkes an,
das in Einheit und machtvoller Entscheidung, einzig und
unteilbar in seinen Erfolgen, sogar Massaker und Unterdrückung
innerhalb und außerhalb seiner Heimat erleiden musste. So gewann
der palästinensische Widerstand Profil und erlangte auf
arabischer und internationaler Ebene Aufmerksamkeit und eine
herausragende Stellung unter den Befreiungsbewegungen der
modernen Zeit.
Der große nationale
Aufstand, die Intifada, der an Ausdehnung und Schlagkraft in den
besetzten Gebieten gewinnt, und der entschiedene Widerstand der
Flüchtlingslager außerhalb der Heimat, haben ein Bewusstsein für
die palästinensische Realität und die palästinensischen Rechte
geschaffen und ihm Aktualität verliehen. Einer ganzen Epoche der
Verfälschung und des schlafenden Gewissens riss die Intifada den
Schleier herunter und belagerte das offizielle israelische
Denken, das in der Negierung der palästinensischen Existenz zu
Mythos und Terror griff. Aufgrund der Intifada und ihrer
irreversiblen Impulse ist die Geschichte Palästinas an einer
entscheidenden Wegkreuzung angelangt.
Das
palästinensisch-arabische Volk bekräftigt mit Entschiedenheit
seine unveräußerlichen Rechte im Land seiner Väter:
- gestützt auf das
natürliche, historische und positive Recht des
palästinensisch-arabischen Volkes und der Opfer der
vorangegangenen Generationen in der Verteidigung der Freiheit
und Unabhängigkeit ihrer Heimat
- ausgehend von den
Resolutionen der arabischen Gipfelkonferenzen und der
internationalen Legitimität, wie sie in den Beschlüssen der
Vereinten Nationen seit 1947 verkörpert wird
- in Ausübung der
nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf
Selbstbestimmung, politische Unabhängigkeit und Souveränität
über sein Land proklamiert der Palästinensische Nationalrat im
Namen Gottes und im Namen des palästinensischen Volkes die
Gründung des Staates Palästina auf seinem palästinensischen
Boden mit Jerusalem als Hauptstadt.
Der Staat Palästina
ist der Staat aller Palästinenser, wo immer sie sich auch
befinden. Dieser Staat ist der Ort, an dem sie ihre kollektive
nationale und kulturelle Identität ausüben und die volle
Gleichberechtigung besitzen. Dieser Staat garantiert die
Freiheit ihrer politischen und religiösen Überzeugungen sowie
ihre menschliche Würde durch ein parlamentarisches
demokratisches Regierungssystem, das wiederum auf der Grundlage
der freien Meinungsäußerung und Gründung von politischen
Parteien beruht. Die Rechte von Minderheiten werden von der
Mehrheit respektiert werden, ebenso wie sich die
Minderheiten an die Beschlüsse der Mehrheit halten müssen. Das
Regierungssystem wird auf den Prinzipien der sozialen
Gerechtigkeit und der Gleichheit von Mann und Frau basieren. Es
wird keine Diskriminierung in den allgemeinen Rechten geben,
weder aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion oder Hautfarbe,
im Rahmen einer Verfassung, die die Autorität des Gesetzes und
eine unabhängige Gerichtsbarkeit garantiert. Diese Prinzipien
stehen in Übereinstimmung mit dem jahrhundertealten geistigen
und zivilisatorischen Erbe der Toleranz und religiösen
Koexistenz in Palästina.
Der Staat Palästina
ist ein arabischer Staat, ein integraler und untrennbarer Teil
der arabischen Nation in ihrer Tradition, Kultur und
Zivilisation, in ihren Bestrebungen nach Freiheit, Fortschritt,
Demokratie und Einheit. Der Staat Palästina bekräftigt seine
Verpflichtung gegenüber der Charta der Liga der Arabischen
Staaten und seine Entschlossenheit, die Zusammenarbeit mit den
arabischen Staaten zu fördern. Er appelliert an die arabische
Nation, ihn bei der Durchsetzung und Verwirklichung der Gründung
seines Staates zu unterstützen und alle Kräfte zu mobilisieren
und alle Anstrengungen zu intensivieren, um die israelische
Besetzung zu beenden.
Der Staat Palästina
erklärt seine Verpflichtung gegenüber den Prinzipien und Zielen
der Vereinten Nationen und der Internationalen Erklärung der
Menschenrechte sowie gegenüber den Grundsätzen und der Politik
der Blockfreien Bewegung. Der Staat Palästina erklärt, dass er
ein friedliebender Staat ist, der sich den Prinzipien der
friedlichen Koexistenz verpflichtet. Er wird mit allen Staaten
und Völkern für die Verwirklichung eines dauerhaften Friedens
eintreten, der auf Gerechtigkeit und dem Respekt der
Menschenrechte beruht, sodass das Potenzial der Menschheit zur
Mehrung des Wohlstandes und einen ernsthaften Wettbewerb um eine
bessere Welt eingesetzt wird, in der das Vertrauen in die
Zukunft all jenen die Furcht nehmen wird, die gerecht sind und
zur Gerechtigkeit zurückgefunden haben.
Im Rahmen seines
Kampfes um Frieden ruft der Staat Palästina die Vereinten
Nationen auf, ihre besondere Verantwortung gegenüber dem
palästinensisch-arabischen Volk und seiner Heimat wahrzunehmen.
Der Staat Palästina
ruft ferner alle friedfertigen und freiheitsliebenden Völker und
Staaten der Welt auf, ihm bei der Verwirklichung seiner Ziele
und der Beendigung der Tragödie seines Volkes beizustehen, ihm
Sicherheit zu gewähren und zur Beendigung der israelischen
Besetzung der palästinensischen Gebiete beizutragen.
Der Staat Palästina
erklärt hiermit, dass er an die Beilegung internationaler und
regionaler Konflikte durch friedliche Mittel in Übereinstimmung
mit der UN-Charta und den VN-Resolutionen glaubt. Der Staat
Palästina weist die Drohung mit oder Anwendung von Gewalt, Macht
oder Terrorismus gegen seine oder die territoriale Integrität
eines anderen Staates zurück, ohne auf sein natürliches Recht
auf Verteidigung seiner territorialen Integrität und
Unabhängigkeit zu verzichten.
An diesem
Tag, dem 15. November 1988, wo wir an der Schwelle einer neuen
Ära stehen, verneigen wir uns in Ehrfurcht vor den Seelen
unserer palästinensischen und arabischen Märtyrer, die mit ihrem
Blut und ihrem Opfer für das Heimatland diese Morgendämmerung
mit Licht erfüllt und unserem Land Leben eingehaucht haben.
Unsere Herzen schlagen höher in der aufkommenden Glut der
Intifada und des Kampfes all jener, die in den
Flüchtlingslagern, in der Vertreibung und in der Diaspora
standgehalten und das Banner der Freiheit getragen haben -
unsere Kinder, unsere Greise, unsere Jugend, unsere Gefangenen,
Inhaftierten und Verletzten, die auf unserem heiligen Boden in
jedem Flüchtlingslager, in jedem Dorf oder in jeder Stadt
ausharren. Einen besonderen Tribut zollen wir der tapferen
palästinensischen Frau, der Wächterin unserer Existenz und
unseres Lebens, der Hüterin unseres ewigen Feuers. Den Seelen
unserer heiligen Märtyrer, unserem ganzen palästinensisch -
arabischen Volk, der arabischen Nation und allen
freiheitsliebenden und aufrichtigen Menschen auf dieser Welt
versprechen wir, den Kampf bis zur Beendigung der Besetzung und
der Gründung und Konsolidierung unserer Souveränität und
Unabhängigkeit fortzusetzen.
Wir rufen unser
glorreiches Volk auf, sich um die palästinensische Flagge zu
scharen, sich ihrer würdig zu erweisen und sie zu verteidigen,
sodass sie auf immer das Symbol unserer Freiheit und Ehre bleibt
in diesem Heimatland, das stets und immer eine Heimat der freien
Menschen bleiben wird. Algier, den 15.11.1988
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