Menschenrechtsbeauftragte
der Bundesregierung besucht Israel und Palästina –
Kritik an Unterdrückung von NGOs - von PN -
01.03.2019 –
Die Beauftragte der Bundesregierung für
Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im
Auswärtigen Amt, Bärbel Kofler, ist am Mittwoch
erstmals nach Israel und in die Palästinensischen
Gebiete gereist. In ihrer Stellungnahme zur Reise, die
das Auswärtige Amt verbreitete, kritisierte Kofler
Israel für die Einschränkung der Handlungsräume für
„besatzungskritische Nichtregierungsorganisationen“ und
die Palästinensische Behörde für die „zunehmende
Einschränkung der Zivilgesellschaft“.
Dr. Bärbel Kofler AADr. Bärbel Kofler besucht derzeit
als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Israel
und die besetzten Palästinensischen Gebiete.
(Foto: Auswärtiges Amt © Michael Gottschalk/photothek.de)
Dass Bärbel Kofler nach Israel und Palästina reist, kam
überraschend. Die eigentlich wortgewaltige Streiterin
für Menschenrechte, die 2016 das Amt übernahm und klare
Worte zu Menschenrechtsverletzungen nicht scheut, hatte
sich zum Konflikt Israel / Palästina bisher nicht zu
Wort gemeldet. Selbst die unzähligen,
durch israelische Scharfschützen getöteten
palästinensischen Kinder am Zaun von Gaza 2018,
veranlassten bei Kofler keine Stellungnahme, obwohl die
Menschenrechtsverletzungen nicht zu übersehen waren. Um
so überraschter war man, als am Mittwochabend
(27.02.2019) das Auswärtige Amt in einer kurzen
Mitteilung bekannt gab, dass sich Kofler auf dem Weg
nach Israel und Palästina befand.
Die Stellungnahme zu der dreitägigen Reise fiel
merkwürdig knapp aus. Ohne wie üblich nähere
Informationen zu der Dauer oder dem Ablauf der Reise zu
geben, erklärte die Menschenrechtsbeauftragte Kofler
laut Presseerklärung: "In den letzten Jahren
wurden die Handlungsspielräume von besatzungskritischen
Nichtregierungsorganisationen in Israel immer weiter
eingeschränkt. Dies werde ich in meinen offiziellen
Gesprächen ansprechen und darauf hinweisen, dass eine
lebendige Zivilgesellschaft und auch der Schutz von
Minderheiten essentielle Bestandteile einer
demokratischen Ordnung sind."
Damit hatte Kofler erstmals seit ihrem Amtsantritt
Israel öffentlich kritisiert und ihre Solidarität mit
besatzungskritischen Nichtregierungsorganisationen, wie
zum Beispiel den israelischen NGOs
B‘Tselem
oder
Breaking the Silence, erklärt, die seit
Jahren
massiven Angriffen seitens der israelischen Regierung
ausgesetzt sind.
Am Donnerstagmorgen (28.02.2019) um 10 Uhr, Kofler
befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort,
verschickte das Auswärtige Amt per E-Mail an
Pressevertreter eine erneute – rückwirkend auf
27.02.2019 datierte – Pressemitteilung zur Reise von
Bärbel Kofler, mit dem Zusatz: „Korrektur“ und
veröffentlichte diese auch auf der Internetseite des
Amtes.
Nun wurden Dauer und Gebiete des Besuchs genannt, die
Erklärung der Menschenrechtsbeauftragten jedoch fiel
plötzlich anders aus.
Neben der Kritik an Israel, besatzungskritischen
Nichtregierungsorganisationen den Handlungsspielraum
einzuschränken, kritisierte Kofler nun auch die
Gegenseite und erklärte:
"Mit Vertretern der Palästinensischen Behörde werde ich
auch die zunehmende Einschränkung der Zivilgesellschaft
ansprechen. Wir fördern eine lebendige Zivilgesellschaft
in den Palästinensischen Gebieten, die einen
entscheidenden Anteil am Aufbau eines demokratischen
Staates auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung hat."
Hebron ohne internationale Beobachter - Kofler nahm
laut der neuen Pressemitteilung nun auch zu anderen
Themen Stellung. Am 31. Januar 2019 hatte der
israelische Premierminister, Benjamin Netanyahu, die
seit 22 Jahren bestehende internationale
Beobachtermission (TIPH) in Hebron ohne Abstimmung mit
den internationalen Partnern für
beendet erklärt. Die Mission diente seit dem
Massaker 1994 an 29 palästinensischen Betenden
in der Ibrahimi-Moschee durch einen extremistischen
Israeli dazu, Übergriffe israelischer Siedler und
Soldaten gegenüber der palästinensischen Bevölkerung zu
dokumentieren und palästinensische Schulkinder in Hebron
auf ihrem Weg zur Schule zu schützen.
Rund 40.000 Angriffe von israelischer Seite
in den vergangenen Jahrzehnten dokumentierte die
internationale Mission in einem geheimen Bericht, der
Ende Dezember über eine anonyme Quelle an die
Öffentlichkeit gelangte. Netanyahu war erbost und sprach
vom „Einsatz einer internationalen Kraft, die gegen uns
agiert“. Am 31. Januar verkündete er überraschend das
Aus für die TIPH. Die Beobachter aus Italien, Schweiz,
Norwegen, Schweden und der Türkei mussten Hebron
verlassen.
Proteste gegen das Ende der Beobachtermission in der von
täglicher Gewalt gebeutelten Stadt Hebron kamen von den
jeweiligen Beobachterregierungen, von der UN, und in der
Form eines "Bedauerns" mit Verspätung
auch von der Bundesregierung. Daran
anknüpfend erklärte die Menschenrechtsbeauftragte Kofler
laut neuer Pressemitteilung aus dem Auswärtigen Amt nun
am Donnerstag:
"Hebron ist ein Ort, an dem die gewaltsamen
Auswirkungen des Konfliktes zwischen Israel und den
Palästinensischen Gebieten besonders spürbar sind. Ich
werde mir vor Ort einen Eindruck der Lage nach dem Ende
der Beobachtermission TIPH machen. Die Bundesregierung
bedauert die israelische Entscheidung, den Einsatz der
Beobachter nach über zwanzig Jahren nicht mehr zu
verlängern."
Warum sie dies nicht bereits am Mittwoch erklärte, wurde
nicht bekannt. Folgerichtig aber besuchte Kofler
am ersten Tag ihres Besuches neben Susiya, Ramallah und
Jerusalem auch Hebron, und
schrieb auf Twitter:
„[Ich bin] mit den Menschen vor Ort, israelischer und
palästinensischer Zivilgesellschaft zusammengetroffen,
um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.“
Israelische Menschenrechtsverletzungen in Gaza ignoriert
- Auch zu Gaza äußerte sich die
Menschenrechtsbeauftragte nun in der vom Auswärtigen Amt
veränderten Pressemitteilung, erneut jedoch ohne auf die
fürchterlichen Tötungen von Zivilisten durch israelische
Scharfschützen in den letzten elf Monaten einzugehen.
Dafür schrieb sie:
"Die humanitäre Lage im Gaza-Streifen ist
besorgniserregend, die Versorgung und
Arbeitsperspektiven sind durch die Abriegelung des
Gebiets extrem erschwert. Die Bundesregierung ist –
unter anderem über UNRWA – dort aktiv. Ich werde mit
meinen Gesprächspartnern die Situation und unsere
Unterstützungsmöglichkeiten erörtern."
Die katastrophalen Lebensbedingungen in Gaza, maßgeblich
verursacht durch die über zehn Jahre andauernde
völkerrechtswidrige Blockade seitens Israel, sollen
demnach Gegenstand der Gespräche vor Ort sein. Kein Wort
sagte Kofler dagegen zu dem, was exakt am selben Tag in
Genf die UN Kommission zur Aufklärung der Gewalt während
der seit dem 30. März 2018 andauernden Proteste am Zaun
von Gaza als mögliche „Kriegsverbrechen
Israels“ bezeichnete.
Nachdem bei den in Gaza jeden Freitag stattfindenden
Protesten israelische Scharfschützen zunehmend friedlich
demonstrierende Palästinenser – darunter
junge Kinder,
Rettungssanitäter und
Journalisten – erschossen, hatte der UN
Menschenrechtsrat im Mai 2018 beschlossen, eine
Untersuchungskommission einzurichten, die mögliche
Verbrechen Israels untersuchen sollte. Am Donnerstag
dieser Woche, einen Tag, nachdem Kofler nach Israel und
Palästina gereist war, veröffentlichte die UN Kommission
in Genf den Bericht, in dem Israel vorgeworfen wird,
ohne Not und Berechtigung gezielt auf unbewaffnete
palästinensische Opfer geschossen und dabei schwerste
Verletzungen und den Tod von Opfern billigend in Kauf
genommen zu haben.
Es ist schwer vorstellbar, dass Kofler am Mittwoch bei
der Abreise von diesem Bericht keine Kenntnis hatte,
denn als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung
nimmt sie regelmäßig in Genf an Sitzungen der UN teil
und hat einen guten Draht zum UN Menschenrechtsrat, der
diesen Bericht veröffentlichte. Nur zwei Tage vor Ihrer
Abreise
sprach sie vor dem UN Menschenrechtsrat,
einen Tag vor Ihrer Abreise unterzeichnete sie namens
der Bundesregierung bei der stellvertretenden
Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten
Nationen, Kate Gilmore, eine Vereinbarung über drei
Millionen Euro Hilfe zugunsten der UN
Menschenrechts-Organisation UNHCHR.
„Deutschland fühlt sich
auch weiterhin verpflichtet“, so
Kofler auf Twitter, „die Arbeit und
Unabhängigkeit des Büros des Hohen Kommissars für
Menschenrechte zu unterstützen.“
Zwei Tage später erschien der vernichtende Bericht über
scheußliche Menschenrechtsverbrechen Israels in Gaza,
doch Kofler erwähnte ihn oder die dort dokumentierten
Gräueltaten gegen palästinensische Zivilisten nicht.
Obwohl der Bericht – der nur den Zeitraum bis Dezember
2018 abdeckt – von fast zweihundert getöteten
Palästinensern, darunter dutzende Kinder, spricht,
findet sich in der Presseerklärung von Kofler, wie sie
vom Auswärtigen Amt am selben Tag der Veröffentlichung
des UN-Berichts in nun geänderter Fassung herausgegeben
wurde, kein Wort zu diesen von der UN dokumentierten
massiven Menschenrechtsverletzungen durch Israel.
Lediglich die „besorgniserregende“ humanitäre Lage, die
Versorgung und Arbeitsperspektiven werden thematisiert.
Die schweren israelischen Menschenrechtsverletzungen,
die Hunderten Palästinensern das Leben gekostet und
Tausende zu Krüppeln gemacht haben, erwähnt die
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung in ihrer
Pressemitteilung dagegen mit keinem Wort.
Treffen mit Daoud
Nasser, Träger des deutsch-französischen
Menschenrechtspreises - Dass sich Kofler immerhin
von den Auswirkungen israelischer Übergriffe in der
Westbank ein Bild machen wollte, bewies ihr Treffen am
Donnerstag mit Daoud Nasser,
Träger des deutsch-französischen
Menschenrechtspreises 2018. Zu Nassar zu
gelangen, ist nicht einfach. Die israelische
Militärverwaltung blockiert die Zufahrtsstraße zu seinem
Weinberg nahe Bethlehem immer wieder mit großen
Felsbrocken und macht sie unpassierbar. Doch Nassar, der
seit fast zwanzig Jahren mit seiner
Nichtregierungsorganisation „Tent
of Nations“ mit friedlichen Mitteln gegen die
zunehmende Besetzung des palästinensischen Landes durch
illegale israelische Siedlungen kämpft, lässt sich von
den ständigen Schikanen nicht einschüchtern. Sein Motto
lautet: „Wir
weigern uns, Feinde zu sein.“Kofler trifft Daoud
Nasser
Dass die
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ihn nur
zwei Monate nach der
Deutsch-Französischen-Preisverleihung vor Ort besuchte,
dürfte gegenüber Israel ein wichtiges Signal sein, dass
Daoud Nasser und sein Friedensprojekt Deutschlands
Unterstützung hat und nicht schikaniert werden sollte.
Ein ähnlich klares Zeichen hätte man sich hinsichtlich
Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft wie
B‘Tselem oder Breaking the Silence, die seit Jahren
massiven Angriffen durch die israelische Regierung
ausgesetzt sind, auch gewünscht. Zwar re-postete Kofler
am Freitag
auf Twitter ein Foto, das sie mit
Menschenrechtsaktivisten zeigt, doch Namen und
Organisationen blieben unerwähnt.
Der Direktor von B‘Tselem
veröffentlichte dagegen am Freitag ein
Foto auf Twitter, das Kofler mit einer B‘Tselem
Vertreterin in Hebron zeigt.
Auf ihre eigene Timeline
übernahm Kofler das Foto nicht.
Quelle: FatehYouth Germany <fatehyouthgermany@googlemail.com>
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