Gaza, Anfang August 2017 - Dr.
Abed Schokry
- Sehr
geehrte Damen und Herren, Liebe Freundinnen und
Liebe Freunde, womit fange ich mein neues
Schreiben dieses Mal an? Mit Ost- Jerusalem bzw.
Al-Aqsa Moschee oder mit dem weiterhin
ununterbrochenen Siedlungsbau oder mit der
andauernden Spaltung der Palästinenser oder mit
der 50 jährigen Besatzung des Gazastreifens oder
mit der nun 10 Jahre andauernden Blockade gegen
den Gazastreifen? Oder soll ich wie so oft mit
der Stromkrise oder der Wasserkrise beginnen
oder ... Leider lässt sich diese Liste ohne viel
Nachdenken weiter fortsetzen dennoch höre ich
jetzt auf.
Ich denke, bereits darüber geschrieben zu haben,
dass ich nie in meinem Leben in der Westbank
bzw. in Ost-Jerusalem gewesen bin. Im Jahr 2015
bin ich zwar über Israel, Westbank und Jordanien
nach Deutschland hin¬und zurückgeflogen, aber
ich war sozusagen lediglich „Transit-Passenger".
Daher beschränken sich meine Meldungen auf den
Gazastreifen, da ich hier vieles mit meinen
eignen Augen sehe bzw. direkt höre oder aber
auch erlebe. Ich möchte Ihnen das -soweit es mir
nur möglich ist- sachlich und emotionslos
mitteilen. Ich sehe viel im Internet, ich lese
auch sehr viel, dennoch hat jede Nachricht
verschiedene Seiten und Betrachtungsweisen, die
ich hinsichtlich der Westbank bzw. Ost-Jerusalem
nicht alle kenne. Daher schreibe ich lediglich
über die Lage in dem Gazastreifen.
Meine Kinder fragen mich täglich danach, warum
ich noch nicht verreist bin, denn wie Sie wissen
hatte ich ein Visum und ein Forschungsstipendium
für Deutschland. Ich antworte ihnen „Weil die
Grenzen geschlossen sind." Dann kommt die Frage
sofort danach „Warum sind die Grenzen zu?"
,,Weil der Gazastreifen seit Juli, 2007 total
abgeriegelt ist." Dann kommt die Frage, warum
dies so ist? Und da fange ich an, zu stottern.
Wie kann ich ihnen das Ganze sachlich erklären?
Hierauf habe ich keine Antwort gefunden. Ich
möchte den Kindern eine Antwort geben, die ich
neutral ausdrücken kann, ohne „Hassgefühle" zu
schüren. Bitte helfen Sie mir dabei! Israel
besitzt unser Land, Israel belagert den
Gazastreifen, das ist alles richtig, aber gibt
mir das, das Recht, dass meine Kinder und ich
die Israelis hassen? Das will ich gerade
vermeiden, denn die Israelis sind Menschen, wie
Sie und ich. Durch die Geschichte haben sie ja
gelitten. Das verstehe ich sogar. Aber das gibt
Ihnen auf jeden Fall nicht das Recht, ein
anderes Volk nun so zu behandeln. Im Gegenteil
(das ist meine Meinung!), gerade weil sie
gelitten haben, sollten sie unsere Gefühle doch
kennen oder verstehen, denn wir leiden unter der
Besatzung durch Israel. D.h. die, die selbst
gelitten haben, lassen uns jetzt leiden, obwohl
WIR ihnen das Leid damals nicht zugefügt haben.
Manchmal macht es mich traurig, dass Deutschland
sich nur mit den Israelis verbunden fühlt und
nicht erkennt oder erkennen will, dass auch wir
Opfer dieser schrecklichen Geschichte sind.
Daniel Barenboim, der argentinisch-israelische
Generalmusikdirektor der Staatsoper in Berlin
und Gründer des Orchesters des West-östlichen
Diwans, hat in einem Artikel im Juni 2017
geschrieben: ,,Es ist dringend notwendig, dass
Deutschland und Europa sich ihrer Verantwortung
gegenüber den Palästinensern stellen."
Dann kommen die anderen täglichen Fragen unserer
Kinder. Es ist Hochsommer, es ist sehr warm und
sie fragen „Was machen wir heute? Wohin gehen
wir heute? Was unternehmen wir heute?" Oft
lautet meine Antwort „ Wir bleiben zuhause" An
den Strand gehen, geht nicht, er ist verseucht.
Übrigens der Strand ist unser letzter
Zufluchtsort gewesen und nun ist er
unerträglich, denn das Abwasser fließt an vielen
Stellen unbehandelt direkt ins Meer. Wenn dann
doch Kinder ins Wasser gehen, so bekommen sie
Hautprobleme und manche wurden mit
Magenproblemen ins Krankenhaus gebracht, weil
sie versehentlich das verschmutzte Wasser
geschluckt hatten. Es ist sogar schon so weit,
dass die nah gelegenen Strände auf der
Israelischen Seite der Grenze, bereits
geschlossen sind und das Gebiet dort nicht
betreten werden darf. Es kommt noch härter, eine
nahgelegene Wasseraufbereitungsanlage soll
israelischen Meldungen zufolge bereits
stillgelegt worden sein.
Stellen Sie sich die folgende Situation vor,
meine Damen und Herren:
Sie bekommen Strom von 3 Uhr nachts bis 7 Uhr
früh, dann kommt der Strom erst wieder nach 12
Stunden. Also erst um 19 Uhr ist der Strom
wieder da. Und er kommt dann bis 23 Uhr und erst
12 Stunden später haben wir wieder Strom, also
um 11 Uhr Vormittag. So funktioniert es mit der
Stromversorgung bei uns und das seit Mitte
April. An manchen Tagen hatten wir sogar alle 24
Stunden gerade mal 2-3 Stunden Strom. Ich muss
tagein-tagaus zum Markt gehen, um Gemüse und
Obst zu kaufen, weil ja sonst alles verdirbt.
Die Läden um unser Haus herum haben alle keine
Gefriertruhe. Das Eis-Geschäft musste seine
Produktion in diesem Jahr aufgeben. Auch sonst
bleiben viele kleine Fabriken und Werkstätten
geschlossen. Denn Strom vom privaten Anbieter zu
kaufen, kostet den siebenfachen Preis. So
steigen die Herstellungskosten rapide und die
ohnehin verarmten Kunden können sich diese
gestiegenen Preise gar nicht leisten.
Ich selbst, habe meine Forschungsarbeiten wegen
der Stromprobleme nicht voranbringen können, wie
ich vorhatte. Bei Kerzenlicht kann ich mich
nicht konzentrieren. Sicher denkt der eine oder
andere an Solarenergie. Ja, das gibt es in der
Tat. Meine Schwiegereltern haben sich so eine
Anlage von einer Firma in Gaza gekauft und sie
bekommen tagsüber meistens Strom. Aber nachts,
geht die Anlage nicht und die vorhandenen
Batterien sind irgendwie nicht gut oder können
wegen der Kapazität nicht lange aushalten oder
oder .... Bei meinen Schwiegereltern ist eine
Solaranlage möglich, weil sie auf dem Dach ihres
eigenen Hauses montiert werden kann und sie das
entsprechende Geld besitzen. Denn um ca. 5 K
Watt Strom zu erzeugen, werden ca. 6000 US$
nötig. Ich wohne mit meiner Familie in einem
Mehrfamilienhaus. Eine Solaranlage für alle
Wohnungen wäre zu teuer.
Einige Tankstellen, Schulen, Uni-Gebäude,
private Geschäfte usw. haben sich Solaranlagen
angeschafft und haben tagsüber keine Probleme
mit dem Strom. Abends und nachts wird es dennoch
problematisch. Das ist das Problem mit der
Speicherung der Energie aus erneuerbaren
Quellen, ob nun Windenergie oder aber
Solarenergie. Ich muss auch sagen, dass ich mich
mit dem Thema wissenschaftlich gesehen nicht
beschäftigt habe und daher weiß ich nicht, ob es
bessere Batterien auf dem Weltmarkt gibt und
wenn es sie geben sollte, wie teuer sie sind.
Das wäre für mich sehr wichtig zu wissen. Und
wie lange sind diese Batterien verwendbar. Wenn
jemand von Ihnen mir bzw. uns an dieser Stelle
weiterhelfen könnte, wäre ich sehr dankbar, wenn
Sie mit mir in Kontakt treten würden. Gern
möchte ich mehr über diese Technik erfahren.
Vielleicht könnte sich mit der Unterstützung von
Expertenwissen für mich ein Forschungsfeld
ergeben, das uns hier helfen könnte.
In der Hoffnung, dass wir bald mehr Strom und
ein „halbwegs" normales Leben haben werden,
verbleibe ich für heute
Mit freundlichen Grüßen Ihr Dr. Abed Schokry
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